Ordnung: Steinbrechartige (Saxifragales)
Familie: Dickblattgewächse (Crassulaceae)
Gattung: Hauswurze
Wissenschaftlicher Name Sempervivum
Habitus
Hauswurze wachsen als Horste (Rosetten-Polster) mehrjähriger, immergrüner, sukkulenter Pflanzen. Die Pflanzen sind hapaxanth (bzw. monokarp), das heißt nach der Blüte sterben die Rosetten, die geblüht haben, ab. Die Größe der ballförmig geschlossenen, halbkugeligen oder sternförmig ausgebreiteten Rosetten liegt zwischen 0,5 cm (teilweise bei Sempervivum arachnoideum oder Sempervivum globiferum subsp. arenarium) und 22 cm (teilweise bei Sempervivum grandiflorum und bei Sempervivum tectorum-Hybriden und Auslesen), hauptsächlich aber bei 3–6 cm. Bei der Blütenbildung strecken sich die Internodien der Sprossachse zu einem Langtrieb. Die Blütenstände werden zwischen 3 cm (Sempervivum minutum) und 50 cm (Sempervivum tectorum) hoch, ragen meist aber sieben bis zwanzig Zentimeter in die Höhe.
Die Wurzeln sind die einer typischen Bergpflanze auf steinigem Grund. Das Wurzelsystem von einigen wenigen Hauptwurzeln geprägt, die tief und kraftvoll in das Substrat eindringen. Mitunter gibt es auch eine einzige sehr dicke Hauptwurzel. Mehrere Nebenwurzeln führen Nährstoffe und Wasser heran. Insgesamt ist das Wurzelsystem im Sinne größtmöglicher Verankerung und Wasseraufnahme aus tieferen Bodenschichten gestaltet. Das Wurzelsystem ist oft überzogen mit einem weißlichen Belag: das ist Mykorrhiza - eine Zusammenarbeit, ein gegenseitiges Geben und Nehmen zwischen Pilz und höherer Pflanze, hier der Hauswurz! Der Pilz profitiert bei dieser Symbiose von den Zuckern, die die höhere Pflanze in ihren grünen Teilen bildet und wieder bis in die Wurzeln leitet. Die höhere Pflanze profitiert zum Einen davon, dass der Pilz Mineralstoffe aus den organischen Stoffen isolieren kann, und zum Anderen davon, dass die Oberfläche für die Aufnahme von Wasser und Mineralstoffe durch die Filamente des Myzels viel größer ist. Das Wurzelgebilde ist durch diese Mykorrhiza mit dessen oben beschriebenen Wirkungen in seinem Erscheinungsbild beeinflusst. Es ist kürzer und dicker als es ohne Symbiose wäre und es weist keine Wurzelhaare auf.
In den Alpen sind die am meisten verbreiteten Arten die Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum, in Schweizer Veröffentlichungen auch als Sempervivum alpinum), die Berg-Hauswurz (Sempervivum montanum, siehe Foto oben bei den Polsterpflanzen) und die Spinnweb-Hauswurz (Sempervivum arachnoideum).
Die Dach-Hauswurz (S. tectorum/alpinum) kann man auch auf Dächern (Name!) und Mauern finden, meist angepflanzt, mitunter verwildert/wild, mitunter sehr weit von ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet entfernt.
Ein relativ kleines Verbreitungsgebiet haben die beiden gelb blühenden Arten Wulfen-Hauswurz (S. wulfenii) und Großblütige Hauswurz (S. grandiflorum), und die hübsche rosa blühende Kalk-Hauswurz (S. calcareum). Sehr selten sind Dolomiten-Hauswurz (S. dolomiticum) oder gar die Serpentin-Hauswurz (S. pittonii). Die Serpentin-Hauswurz ist ein kleines, gelb blühendes Juwel, das nur auf zwei Berghängen nahe Kraubath an der Mur in Österreich wächst. Sie ist stark gefährdet, insbesondere durch Abbau von Serpentin, der dort durchgeführt wird, obwohl die Pflanze geschützt ist.
Als Beispiele für gelb blühende Arten der Alpen mit kleinem Verbreitungs-Gebiet dienen die beiden unteren Fotos rechts. Sie zeigen die gelben Blüten von Sempervivum grandiflorum und eine Rosette der ebenfalls gelb blühenden Art Sempervivum wulfenii.Die Gattung Hauswurz (Sempervivum) ist leicht zu erkennen, aber ihre Arten sind oft nicht leicht zu identifizieren. Selbst ein und derselbe Klon kann unter verschiedenen Wachstums-Bedingungen vollkommen unterschiedlich aussehen. Auch innerhalb der zeitlichen Abfolge eines Jahres weist ein solcher Hauswurz-Klon unterschiedliches Aussehen auf.
Es können im Verbreitungsgebiet der Gattung mehr oder weniger fünfundreißig Spezies (Arten) festgestellt werden, wenn es auch weit mehr lokale Populationen gibt, die oftmals völlig eigenen Charakter haben.
Jede der Arten hat eigene Unterarten. So kommen z.B. Sempervivum globiferum (Syn.: Jovibarba globiferum) und deren Unterarten (S. globiferum subsp. globiferum, S. globiferum subsp. hirtum, S. globiferum subsp. allionii, S. globiferum subsp. arenarium) in den Ost- und Südalpen vor, die Unterart S. globiferum susp. globiferum auch in Mittelgebirgen wie dem Riesengebirge oder der Schwäbischen Alb.
Unterschiedliche Einordnungen in Gattungen oder UntergattungenMitunter gibt es in der Fachwelt - hauptsächlich wegen der Unterschiede im Blütenbau - eine Unterteilung in zwei Gattungen, zum Einen in die Gattung Sempervivum und zum Anderen in die Gattung Jovibarba. Nach APG II wird die Unterteilung in zwei Gattungen nicht gestützt. In diesem Artikel wird versucht, beiden Ansichten Rechnung zu tragen: der des APG II und der der Forschungen von H. t' Hart, B. Bleij und B. Zonnefeld sowie der Veröffentlichungen Urs Egglis (siehe Literaturangaben), die Sempervivum (im engeren Sinne) und Jovibarba in eine Gattung, in die Gattung Sempervivum, einordnen. Jovibarba-Arten sind nach dieser Auffassung nur Synonyme der Sempervivum-Arten.
Der Dach-Hauswurz ist eine alte Heil- und Zauberpflanze. Karl der Große ordnete in seinem "Capitulare de villis" an: "et ille hortulanus habeat super domum suam Jovis barbam" (= "und jeder Gärtner soll auf seinem Dach 'Jupiter-Bart' (Hauswurz, Donarsbart, Donnerwurz) haben". Einige glauben noch heute, dass diese Pflanze ein Haus vor Blitzschlag schützen kann. Jupiter und Donar galten als Götter, die den Blitz unter ihrer Kontrolle hatten, und Hauswurz (Jupiterbart bzw. Donarsbart) sollte Blitzeinschlag und Brand fern halten. An manchem Orten verbrannte man bei Unwetter so genannte Palmkätzchen (Knospen der Weide, meist Sal-Weide) und Hauswurz-Teile, die man am Johannistag vom Dach genommen hatte. In der Schweiz wurde die Hauswurz noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als Zauberpflanze verwendet. Man pflanzte sie auf ein Brettchen, das auf einen Pfahl montiert war. Einzelne Pflanzen, die man in den Kamin hängte, sollten davor schützen, dass Hexen in den Kamin führen. Auf Viehställe gepflanzt sollten sie dafür sorgen, dass die Tiere vor Seuchen bewahrt bleiben. Aus der Gegend von Weißenburg/Bayern ist bekannt, dass die Kühe vor dem ersten Weideaustrieb des Jahres drei Eichenblätter (auf dass ihnen Laub nicht schade), drei Blätter der Mauerraute (auf dass ihnen Kräuter nicht schadeten) und drei Blätter der Hauswurz bekamen (auf dass sie wieder in ihren Stall zurückfänden, auf dem vermutlich Hauswurz gepflanzt war). Häusern, auf denen Hauswurz wuchs, sollte dies Glück bringen. An manchen Orten wurde geglaubt, dass es Unglück brächte, wenn eine Hauswurz-Rosette blühen würde, dass z.B. ein Bewohner des Hauses in diesem Jahr sterben werde. In anderen Gegenden zeigen lange Infloreszenzen (Blütentriebe), dass der Familie ein wichtiges Ereignis bevorstehe, kündeten weiße Blüten einen Todesfall, und rote ein freudiges Ereignis an. Wenn man weiß, dass die Dachwurz (Gewöhnliche Hauswurz Sempervivum tectorum bzw. Sempervivum tectorum murale) weißlich-blassrosa blüht, dürfte dieses Zuordnung manchmal Schwierigkeiten gemacht haben. Im Vilstal (Niederbayern) hieß es, dass das Glück fortziehe, wenn man die Hauswurz von Dach entferne. Auch wird überliefert, dass Hexen Hauswurze, die sie für ihre Brau-Rezepte brauchen, vornehmlich Donnerstags sammelten, dem Tag des Gottes Donar (Thor, Thorsdag, Thursday).
Besonders der Saft der dickfleischigen Blätter wurde lange Zeit als heilkräftig angesehen, mitunter sieht man dies heute noch so. Der aus den Blättern gewonnene Saft wurde und wird von manchen gegen trockene, rissige Haut, Ekzeme und gegen Verbrennungen verwendet. Wichtige Inhaltsstoffe sind Gerbstoffe und Schleimstoffe. In der Volksmedizin wird der frische Saft aus den Blättern äußerlich zur Linderung von Insekten-Stichen, bei Geschwüren, schlecht heilenden Wunden, Warzen, Hühneraugen und gegen Ohrenschmerzen angewendet. Mit Wasser vermischt und innerlich eingenommen dient es als Durst stillendes Getränk bei Fieber. Auf Wunden und Quetschungen solle man geschälte Hauswurz-Blätter legen, einen Brei aus geschälten Hauswurz-Blättern lege man gegen Kopfschmerzen auf die Stirn.
Früher hieß es, dass der Saft die Haut schön mache und Sommersprossen vertreibe. Von einem auf die Haut applizierten Gemisch aus Hauswurzsaft, Gummi, rotem Arsenik und Alaun hieß es, man könne unter seiner Protektion glühendes Eisen anfassen. Hildegard von Bingen merkte an, dass Hauswurz-Genuss bei Mann wie bei Frau Begierde entbrennen lasse. Für zeugungsunfähige Männer aber empfahl sie in Ziegenmilch eingelegte Hauswurz. Bei Taubheit solle man Hauswurz-Saft zusammen mit Frauenmilch ins Ohr träufeln.
Auch in der Homöopathie findet die Hauswurz Verwendung. Man benutzt dazu frische, vor der Beginn der Blüte gesammelte, oberirdische Teile der Pflanze.
Es gibt viele Hauswurz-Liebhaber. Hauptsächlich die Dach-Hauswurz/Alpen-Hauswurz (S. tectorum) und deren Hybriden sowie S. heuffelii-Kultivare sind sehr vielgestaltig. Inzwischen wurden an die 3000 Sorten gezüchtet. Dabei liegt nicht das Hauptinteresse auf die Ausbildung der Blüten, sondern vielmehr in der Vielfalt der Rosettenformen und -färbungen. Die Hauptfärbungszeit liegt zwischen März und Juni